“Tichys Einblick“
Weitere Details zum Schlepperwesen auf Lesbos
Von Matthias Nikolaidis
Do, 1. Oktober 2020
Die Affäre um vier NGOs, die mit Schleppern zusammenarbeiten, geht weiter: Erst wurde die Besatzung der »Mare Liberum« festgenommen, dann kamen sie nach Intervention der deutschen Botschaft schnell wieder frei. Nun ermittelt die Staatsanwaltschaft unter anderem wegen Gründung einer kriminellen Organisation.
Es war eine überraschende Durchsuchung der »Mare Liberum« Anfang September, die den Stein ins Rollen brachte. Seit Monaten war das Schiff in der Ägäis unterwegs, angeblich um Migranten in Seenot zu retten, wie die Betreiber als Stiftungszweck angeben und auf vielen Videos behaupten. Alle Besatzungsmitglieder wurden festgenommen und erkennungsdienstlich behandelt. Außerdem wurden die elektronischen Geräte, die sich auf dem Schiff fanden, zur späteren Auswertung beschlagnahmt.
Bei der »Mare Liberum« handelt es sich um die umbenannte »Sea-Watch 1«, die seit 2018 in die Hände der NGO Mare Liberum e. V. überging. Das berichtet Mare Liberum auf seiner Website. Photos zeigen die Identität der beiden Boote. Sea- Watch e. V. sei ein »starker Unterstützer« von Mare Liberum. Sea-Watch schreibt auf seiner Website (nebst Bild der ersten »Sea-Watch«), dass man sich seit 2016 und definitiv Ende 2017 aus der Ägäis zurückgezogen hat. Das Interessante ist nun, dass laut dem Nachrichtenportal Lesvos Post nicht Mare Liberum sondern Sea-Watch e. V. die deutsche Botschaft kontaktiert haben soll, so dass die festgenommenen NGO-Mitarbeiter nach acht Stunden Haft wieder freikamen. Das berichtete die Lesvos Post am 7. September. Von offizieller Stelle wurde der gesamte Vorgang freilich nie bestätigt.
Offenbar konnten aber zumindest die Ermittlungen der Polizei, auch unter Mithilfe der Geheimdienste, fortgesetzt werden, so dass es dann Mitte September zu staatsanwaltlichen Ermittlungen gegen 33 NGO-Mitglieder kam. Sieben der Verdächtigen gehören dabei der Leitungsebene an. Damit stellen die Deutschen die deutliche Mehrheit der Verdächtigen; daneben sind noch Schweizer, eine Französin, eine Bulgarin, ein Spanier sowie je eine Frau aus Österreich und Norwegen unter den nachgeordneten Helfern. Hinzu kommen zwei Verdächtige aus Drittstaaten, bei denen es sich um Migranten aus Afghanistan und Iran handelt.
Bei den Personen, gegen die ermittelt wird, handelt es sich offenbar genau um Mitglieder der Besatzung der »Mare Liberum«. Ein Anruf bei der Polizeidirektion der Nordägäis ergab, dass die Ermittlungen gegen die NGO-Mitglieder nun bei der Staatsanwaltschaft liegen, derzeit aber noch keiner der Angeklagten inhaftiert wurde.
Dabei gelten die kriminellen Aktivitäten der vier NGOs, ihre Zusammenarbeit mit Schleppern vom türkischen Festland, als durch die Ermittlungsergebnisse eindeutig belegt, so die Behörden. Mare Liberum bestreitet illegale Tätigkeit. Unklar ist noch, ob sie auch Geldzahlungen der Schlepper angenommen haben. Laut euronews verspricht sich die Polizei weitere Erkenntnisse von einem beschlagnahmten Computer. Ermittelt wird wegen:
a) der Gründung einer kriminellen Organisation,
b) Spionage,
c) des Verrats von Staatsgeheimnissen,
d) der Verletzung des griechischen Migrationsgesetzes.
Als erste berichtete die Wochenzeitung To Vima. Die Zeitung zitierte dabei auch aus internen Polizeiakten. Unter dem Vorwand der humanitären Aktion hätten die NGOs mit Schleppern aus der Türkei konspiriert und so neue Wege für irreguläre Migration aus der Türkei in die EU eröffnet. Dazu teilten die NGO-Mitglieder den Schleppern in der Türkei die Bewegungen der griechischen Küstenwache mit, worin wohl der Geheimnisverrat der Prozessakten besteht. Außerdem informierten sie die Migranten darüber, wann diese in griechischen Gewässern waren und also einen Notruf absetzen konnten.
Daneben bedienten sich die NGOs der Website »Watch the Med« und des Rufdienstes »Alarm phone«, um Druck auf die griechische Küstenwache auszuüben – und deren Arbeit zu behindern, so zumindest die Sicht der griechischen Behörden.
Die Website stellt eine ›Notrufnummer‹ bereit und erklärt den Migranten oder Schleppern das Verfahren: Zuerst müssen die Bootsinsassen die Küstenwache über die eigene Notsituation informieren, danach sollen sie das »Alarm Phone« anrufen. Die NGO-Mitarbeiter versuchen dann, auch über Medien und Politiker, Druck auf die Küstenwache auszuüben, damit die Migranten von der Küstenwache aufgelesen werden. Es gab mindestens 32 Schlepperfahrten, die so in die Wege geleitet und von den NGOs begleitet wurden. Laut der Zeitung To Ethnos sollen allerdings 27 der konspirativ geplanten Überfahrten misslungen sein, nur fünf Überfahrten gelangen.
Auf Nachrichtenseiten kursieren – neben Mare Liberum und Sea-Watch – auch die Namen weiterer NGOs, die von den Ermittlungen betroffen seien, darunter die Forschungsgesellschaft Flucht & Migration e.V., die auch Spenden für das »Alarm Phone« der Website »Watch the Med« annimmt. Und die ›Forschungsgesellschaft‹ gibt in ihrem Impressum dieselbe Berliner Adresse an wie Mare Liberum.
Unterdessen hat der Staatssekretär im Bürgerschutzministerium, Levteris Ikonomou, »NGOs und ausländische Netzwerke« dafür kritisiert, die Migration zu »instrumentalisieren«. Nach der jüngsten Enthüllung will man die Kontrollen in nächster Zeit noch verstärken. NGOs, die sich außerhalb des gesetzlichen Rahmens bewegen, müssen sich offenbar warm anziehen.
Die Finanzen vieler NGOs sind dabei schwer zu kontrollieren, da viele Geldflüsse über das Ausland geregelt werden. Angeblich hat aber die Wirtschaftspolizei und die Behörde für Transparenz mit umfassenden Kontrollen begonnen. An den griechischen Grenzen, so der Staatssekretär, schütze man sich auch gegen Spionage und die Verletzung der nationalen Sicherheit mit einem festen Panzer.
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Seenotretter, die angeblich nicht retten
Von Redaktion
So, 29. November 2020
Der Seenotrettung-Verein „Mare Liberum“ verbietet TE vorläufig die Darstellung, er betreibe Schlepperei. Der Verein gewann vor Gericht aufgrund von drei eidesstattlichen Versicherungen. Diese bestätigen gleichlautend, der Verein habe noch nie einen Menschen aus Seenot gerettet. Satzungszweck des Vereins ist aber auch genau dies.
Manchmal bedeuten Siege vor Gericht nicht unbedingt einen Erfolg für die eine und eine Niederlage für die andere Seite. Und mitunter führen Verfahren zu einem überraschenden Erkenntnisgewinn. Am 18. November untersagte das Landgericht Hamburg TE alle wesentlichen Aussagen eines Interviews über die Tätigkeit des Vereins „Mare Liberum“ in der Ägäis zwischen der Türkei und Griechenland, die das Medium vor einigen Wochen veröffentlicht hatte. Insbesondere darf TE nicht länger behaupten, der Berliner Verein würde sich mit seinem Schiff und kleinen Booten als Schlepper betätigen. Die Aussagen stammten von der Aktivistin Rebecca Sommer, die das Geschehen auf der griechischen Insel Lesbos beobachtete, mit Gewährsleuten sprach, und ihre Sicht der Dinge gegenüber TE in einem Interview schilderte.
Das Hamburger Landgericht entschied allerdings – und hatte auch rechtlich kaum eine andere Wahl – die Eidesstattlichen Versicherungen des Vereins „Mare Liberum“ höher zu bewerten. Und deren Inhalt ist bemerkenswert: „Der Antragssteller hat an Eides Statt versichert, noch nie Menschen aus Seenot an Bord genommen zu haben“, heißt es in dem Beschluss des Gerichts. Seine Schiffe, so der Verein, würden nur der Beobachtung dienen, um illegale Zurückweisungen von Migranten – so genannte Pushbacks – durch griechische Küstenschiffe zu dokumentieren beziehungsweise durch die eigene Anwesenheit zu verhindern.
Die Eidesstattlichen Versicherungen garantierten „Mare Liberum“ erst einmal einen vorläufigen juristischen Erfolg: Die Organisation kann damit eine ihr nicht genehme Berichterstattung unterbinden. Allerdings stellt sich die Frage: Was tut der in der Berliner Gneisenaustraße 2a registrierte eigetragene Verein eigentlich, sollten die eidesstattlichen Versicherungen richtig sein? In diesem Fall würden die „Mare Liberum“-Aktivisten nämlich permanent sowohl Geldgeber als die Öffentlichkeit über ihre Tätigkeit täuschen. Denn dort präsentieren sie sich ganz selbstverständlich als Seenotretter. In der Satzung des Vereins heißt es:
„Der Satzungszweck wird insbesondere verwirklicht durch: Beteiligung an der Suche und Rettung Schiffbrüchiger.“
Und so präsentierte sich der Verein bisher auch medial. In einem Artikel der „Jungle World“ vom 22. Oktober 2020 geht es unter der Überschrift „Verordnungstricks für’s Ertrinken“ um die vorübergehende Festsetzung zweier Schiffe von „Mare Liberum“ durch eine Verordnung des Bundesverkehrsministeriums. Ein Foto, das den Beitrag illustriert, zeigt drei Personen in einem Schlauchboot des Vereins auf offenem Wasser; in der Bildunterschrift heißt es: „Ehrenamtliche der NGO Mare Liberum üben das Retten von Menschen – für das Verkehrsministerium keine Freizeitbeschäftigung.“
Über die Verordnung des Ministeriums beklagte sich auch ein Vertreter von „Mare Liberum“ per Video, in dem er sich an Anhänger und Unterstützer wendet. Dort sagt er: „Jetzt ist es amtlich. Heute haben wir von den deutschen Behörden eine Festhalteverfügung bekommen. Die ‚Mare Liberum’ und die ‚Sebastian K.’ …dürfen nicht auslaufen. Damit setzen die deutschen Behörden die Verordnungsänderung des rechten Ministers Scheuer um. Der Verkehrsminister will die Seenotrettung … blockieren.“
Während #Pushbacks in der #Ägäis unter den Augen der Weltöffentlichkeit an der Tagesordnung sind, blockiert die Bundesregierung unseren Einsatz! Hanno von Bord der SEBASTIAN K: „Das akzeptieren wir nicht. Wir sind stinksauer.” #LeaveNoOneBehind#FreeTheShips
— Mare Liberum e.V. (@teammareliberum) August 19, 2020
In einer gemeinsamen Pressemitteilung von „Mare Liberum“ vom Juni 2020 zusammen mit anderen Organisationen heißt es:
„Der Berliner Verein Mare Liberum, die Dresdner Organisation MISSION LIFELINE und der Hamburger Verein RESQSIP betreiben jeweils Schiffe für Seenotrettung und Beobachtungsmissionen auf dem Mittelmeer. Gemeinsames Ziel ist es, Leben zu retten und Menschenrechte durchzusetzen.“
Nach dem Vortrag vor Gericht bleiben zwei Möglichkeiten: Entweder gab der Verein falsche eidesstattliche Versicherungen ab, um eine ihm nicht genehme Berichterstattung zu unterdrücken. Oder die Versicherungen treffen zu: dann würde „Mare Liberum“ seine Unterstützer und die Öffentlichkeit systematisch in die Irre führen. Möglicherweise halten sich die Vertreter der Organisation, die angeblich gar nicht rettet, bei ihrem juristischen Vorgehen gegen TE an der Formulierung „aus Seenot retten“ fest. In Mittelmeer gab es anderswo schon dokumentierte Szenen, in denen Migranten von ihren Booten auf ein größeres Schiff umsteigen, ohne dass eine unmittelbare Seenot erkennbar wäre. Falls ‚Mare Liberum’ das auch praktiziert, könnte der Verein zwar formal so argumentieren, wie er es tut. Nur: dann wäre der Vorwurf der Schlepperei ja erst recht erfüllt.
Auffällig ist, wie der Verein bei seinem Antrag gegen TE eine sorgfältig verschachtelte Terminologie verwendet:
„Der Antragsteller nutzt seine Schiffe nicht dazu, Menschen von Außerhalb in das griechische Hoheitsgebiet zu verbringen“, heißt es dort, „und hat sie dafür auch nie benutzt. Er hat während seiner Beobachtungsfahrten noch nie Flüchtende aus Seenot an Bord genommen.“
Eine Übernahme von Migranten in griechischen Hoheitsgewässern schließt diese Formulierung ebenso wenig aus wie eine Übernahme bei Fahrten, die nicht ausdrücklich als Beobachtungsfahrten deklariert sind. Auch nicht die Unterstützung illegaler Migration durch Störung der griechischen Küstenwache.
Bei den griechischen Behörden standen 4 NGOs schon in der Vergangenheit unter dem Verdacht der Schleusertätigkeit. Am 28. September 2020 teilte die griechische Polizei mit: „Gegen 33 Mitglieder von Nichtregierungsorganisationen (NRO) und 2 Staatsangehörige von Drittstaaten wurde ein Gerichtsverfahren wegen organisierten illegalen Einschleusens von Ausländern ins griechische Staatsgebiet über die Insel Lesbos eingeleitet.“ In diesem Zusammenhang wird Mare Liberum ausdrücklich genannt.
Bei diesem Verdacht der Schleusertätigkeit geht es nicht nur um ein mögliches Übernehmen von Migranten von deren Booten auf ein Schiff, sondern, so die griechischen Ermittler, auch um gezielte Eingriffe in die Telekomminikation der griechischen Küstenwache, um deren Schiffe daran zu hindern, die Seegrenze gegen illegale Einwanderung zu schützen. Unter anderem sollen sie dem griechischen Vize-Heimatschutzminister Lefteris Oikonomou zufolge die Position der griechischen Küstenschutzschiffe ausgespäht und die Daten an die türkische Seite weitergegeben haben. Auch das würde es nach Ansicht des TE-Anwalts Joachim Steinhöfel rechtfertigen, den Vorwurf der Beihilfe zur Schlepperei zu erheben, jedenfalls sei eine solche Einschätzung von der Meinungsfreiheit gedeckt. Das Landgericht Hamburg lässt es in seinem Beschluss denn auch bewusst offen, ob es diesen Begriff als zulässig erachtet oder nicht. Allein solange „prozessual“ davon auszugehen sei, dass Mare Liberum keine Menschen an Bord genommen habe, dürfe nicht von Schlepperei gesprochen werden. „Schlepperei ist eine Tätigkeit meines Erachtens aber nicht nur dann, wenn man Menschen an Bord nimmt, sondern bei jeglicher organisierten Beihilfe zum illegalen Grenzübertritt,“ so Steinhöfel.
„Mare Liberum“ selbst bestätigte am 5. September 2020 die Durchsuchung ihres gleichnamigen Schiffs durch Beamte der griechische Küstenwache, außerdem die Beschlagnahme aller elektronischer Geräte:
„Today 25 greek CoastGuards + police officers searched the mare Liberum and took 4 crew members tot he station for 8 hours. All electronic devicesw were confiscated. Human-right aktivists are not wanted while pusbacks are happening and Moria is turned into a prison. We stay!“
Today ~25 greek #CoastGuards + police officers searched the #MareLiberum and took 4 crew members to the station for 8 hours. All electronic devices were confiscated. Human-rights activists are not wanted while pushbacks are happening and #Moria is turned into a prison. We stay!
— Mare Liberum e.V. (@teammareliberum) September 5, 2020
„Wir haben eine Reihe von griechischen Quellen ausgewertet, darunter die Pressemitteilung der Polizei und deren Pressekonferenz. Die auch gegen Mare Liberum erhobenen strafrechtlichen Vorwürfe der griechischen Behörden einschließlich des griechischen Geheimdienstes sind massiv. Natürlich gilt die Unschuldsvermutung. Aber wenn kein völliges Ermittlungsversagen der griechischen Exekutive vorliegt, ist das letzte Wort in diesem Verfahren noch nicht gesprochen,“ so Joachim Steinhöfel.
TE wird dieses Verfahren weiter führen. Wir danken allen Unterstützern, die uns dafür die notwendigen Mittel zu Verfügung stellen. Denn Pressefreiheit kann in Deutschland nur noch mit erheblichen finanziellen Mitteln wahrgenommen werden. Es ist in diesem Fall erstaunlich, wie leichtfertig polizeiliche Ermittlungen zur Seite gewischt werden, um die illegale Einreise von der Türkei – einem sicheren Staat für Flüchtlinge – nach Griechenland und dann in das deutsche Asylsystem weiter zu ermöglichen. Mit Ihrer Hilfe konnten wir bereits weiteres Beweismaterial vor Ort sichern und Zeugen finden.